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Die verdammten Neugeborenen

Wer sich ein wenig mit Kirchengeschichte befasst hat, der weiß vielleicht, weshalb im Mittelalter die Eltern mit ihrem Neugeborenen so früh wie möglich zur Taufe geeilt sind. Denn die Kindersterblichkeit war hoch, und ein ungetauftes Neugeborenes war eine Beute Satans und zum ewigen Höllenfeuer verdammt. Der Grund dafür ist die Erbsünde. Sie ist, nach christlicher Lehre, die Rechtfertigung dafür, dass ein neu auf die Welt gekommenes Wesen, das nichts über diese weiß und keine Gelegenheit für eine schlechte Tat oder einen schlechten Gedanken hatte, auf ewig Qualen leiden soll. Natürlich erscheint dies einem Menschen mit seinem intuitiven Verständnis von Gerechtigkeit absurd und grausam – so auch einem Mönch. Zitiert aus Geschichte der Ewigkeit von Borges:

Vierhundert Jahre nach dem Kreuz verfiel der englische Mönch Pelagius auf den anstößigen Gedanken, daß die Unschuldigen, die ohne Taufe sterben, in die Glorie eingehen.

Die Kirche, als Dienstleister der Taufe und Verkäufer von Ablassbriefen, muss solchen Gedanken entgegentreten, schließlich funktionieren die genannten Geschäfte nur mittels der Angst vor der ultimativen Strafe.

Augustin, Bischof von Hippo, wies diesen Gedanken mit einer Entrüstung zurück, der seine Herausgeber Beifall zollen. Er verzeichnete die Ketzereien dieser Lehre, die den Gerechten und den Märtyrern ein Greuel ist1: daß sie die Tatsache leugnet, daß wir schon in dem Menschen Adam gesündigt haben, zum Verderb aller Menschen, daß sie scheußlicherweise verkennt, daß dieser Tod sich vom Vater auf den Sohn durch fleischliche Zeugung forterbt, daß sie den blutigen Schweiß, den übernatürlichen Todeskampf und den letzten Schrei Dessen verachtet, Der am Kreuz starb, daß sie die geheimen Segnungen des Heiligen Geistes zurückstößt, daß sie die Freiheit des Herrn beschränkt.

Diese Begründung und ihr niederträchtiger Zweck verdienen es, dass wir an dieser Stelle eine Pause einlegen und darüber ein wenig sinnieren.

Weiter:

Der Brite war so kühn gewesen, sich auf die Gerechtigkeit zu berufen; der Heilige, wie immer aufsehenerregend und forensisch, räumt zwar ein, daß wir nach Recht und Gerechtigkeit als Menschen insgesamt ohne Gnade das Feuer verdienen, daß aber Gott beschlossen hat, einige zu erretten […] Es sind dies die Prädestinierten. Heuchelei oder Schamhaftigkeit der Theologen hat den Gebrauch dieses Worts denen vorbehalten, die für den Himmel prädestiniert sind. Prädestinierte für die ewige Qual kann es nicht geben; zwar nehmen die Nichtbegünstigten ihren Weg ins Feuer, doch handelt es sich hierbei um eine Unterlassung des Herrn, nicht um einen Willensakt …

Damit wird noch klarer, was mit „daß sie [die Idee des Pelagius] die Freiheit des Herrn beschränkt“ gemeint ist. Gott wählt aktiv diejenigen aus, die in den Himmel auffahren und ihm Gesellschaft leisten – wenig verwunderlich, dass er dort keine schreienden Neugeborenen anhäufen möchte. Dabei ist jedoch nicht zu vergessen, dass die ganze Argumentation der damaligen Kirche dienen sollte und sich kirchliche wie theologische Meinungen mit dem Zeitgeist wandeln. Manche mögen diese Meinung heute noch vertreten, andere nicht.

Eine Fußnote zu Pelagius Gedanken aus dem Originaltext:

Jesus Christus hatte gesagt: „Lasset die Kindlein zu mir kommen.“ Natürlich zog sich Pelagius die Anklage zu, er stelle sich zwischen die Kinder und Jesus Christus, indem er sie von der Hölle freispreche. […] alle sagten, daß Pelagius ein Pelagus (Sumpf) von Verruchtheit sein müsse.

Es ist doch erschreckend, wie ein hoffnungsvoll denkender Mensch verunglimpft werden kann von denen, die die garstigsten Gedanken und Absichten haben.

Fußnoten

  1. Dies meint Borges sarkastisch.
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