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Die paradoxe Verehrung des Bonifatius

Heldenverehrung ist generell eine heikle Sache, da sie häufig politisch instrumentalisiert wird, gerade in Kriegszeiten. Dementsprechend hängt die politische Definition von „Held“ sehr von der Regierung ab. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass Bürger solche Helden gerne annehmen, was aufgrund der Assoziation des Helden mit dem eigenen Land und Volk eine Ausprägung des Nationalstolzes ist. Es gibt Helden, die die Zeiten überdauern, so dass ihr Bild zunehmend beschönigt und verklärt wird. Besonders alte Helden können weitgehend unabhängig von der aktuellen politischen Linie als Träger des Nationalstolzes dienen. Ich finde, dass insbesondere mit solchen Heldenfiguren zu unkritisch umgegangen wird. Eher zu verzeihen ist dagegen die Verehrung von Menschen, die nur deshalb einen vorbildlichen Eindruck machen, weil dem Verehrenden unvollständige oder falsche Informationen vorliegen. Schließlich gibt es noch die Menschen, deren Heldenstatus widersprüchlich ist. Unbestritten gibt es auch Menschen, die man hinreichend begründet als Held bezeichnen kann, diese will ich hier jedoch nicht behandeln. Im Folgenden seien ein paar Beispiele der verschiedenen tendenziell zu Unrecht verehrten Heldentypen genannt.

Einige typische Helden

Reiterstandbild Dschingis Khans (Quelle)

Als Nationalhelden gelten häufig Eroberer. Während Krieg an sich schon etwas Furchtbares ist, kommen bei dem typischen Eroberer alter Schule noch die niederen Beweggründe hinzu: Machtgier, Geldgier, Geltungssucht. Auch zeigten sich die meisten Eroberer nicht nur gnadenlos, sondern grausam. Die Opfer von Dschinghis Khan zählten viele Millionen, je nach Schätzung tötete er 5 % bis 10 % der damaligen Weltbevölkerung. Darüber hinaus hatte er einen miesen Charakter. Bis heute wird eine jährliche Opferzeremonie zu seinen Ehren abgehalten, worüber „Fenster zu China“ unkritisch berichtet. Sein Reiterstandbild ist berühmt. Unvergessen auch der spaßige Party-Hit Dschinghis Khan von der gleichnamigen Band.

Sogar bei gar nicht so alten historischen Größen setzt bereits eine massive Verklärung ein: Stalin hatte etwa 20 Millionen Todesopfer verursacht, teils gezielt, teils als Nebeneffekt (über 7 Millionen durch Hungersnöte).

In Jakutsk in Ostsibirien und zahlreichen anderen Regionen inklusive der Krim wurden ab 2013 mindestens 70 Stalin-Denkmäler neu erbaut.
[…]
Im Jahr 2017 haben 40 Prozent der Russen Stalin absolut positiv gesehen. Die Information durch Fernsehen und Propaganda habe – nach Irina Scherbakowa – die öffentliche Meinung von den historischen Fakten losgelöst. 46 Prozent äußerten sich in Umfragen im Jahr 2017 positiv zu Stalin, im Vergleich zu 28 Prozent im Jahr 2012.

(Quelle)

Ein Beispiel für eine, hauptsächlich früher aus Unwissenheit verehrte, Heldin ist Mutter Teresa. Mittlerweile ist es nicht mehr so unbekannt, dass sie das Leid nicht minderte, sondern förderte, und die Öffentlichkeit über ihre Leistungen massiv belog.

Die anachronistische, paradoxe Glorie des Bonifatius

Mehr oder weniger lange nach dem Zeitalter der Aufklärung und der Reformation des Christentums haben einige Länder, darunter auch Deutschland, eine freiheitlich-demokratische Grundordnung erreicht und gewährleisten Religionsfreiheit. Anschläge auf sakrale Bauten (insbesondere Synagogen und Moscheen) werden von der westlichen Gesellschaft scharf verurteilt. Nicht auszudenken wäre die Entrüstung, wenn gar ein Heiligtum, beispielsweise die Kaaba, zerstört würde. Wollte man das noch übertreffen, müsste man seine Fantasie sehr bemühen – oder man sieht einfach in die Vergangenheit: Da zerstörte Bonifatius nicht bloß ein Heiligtum, sondern die Repräsentation eines Gottes auf Erden, die Donareiche. Und es war kein ersetzbares, unbelebtes Gebäude, sondern ein einzigartiges Lebewesen, weswegen töten statt zerstören die richtige Wortwahl ist.

Die Kaaba (Quelle)
Bonifatius nach dem Fällen der Donareiche. Einige Heiden sind erzürnt, andere eingeschüchtert. (Quelle)

Das Paradoxe: Es ist keine unbekannte, von der Kirche vertuschte Missetat des Bonifatius, sondern genau diese Tat, die zentraler Bestandteil seiner Verehrung ist! Ich erinnere mich noch, wie ich im Religionsunterricht saß und – nachdem ich bisher eine gute und humanistische Bildung genossen hatte – schockiert den Schilderungen des Lehrers über die Fällung der Donareiche zuhörte. Der Lehrer kritisierte die Tat nicht im geringsten, im Gegenteil. Es schwang Bewunderung und ein gewisser Stolz auf diese demonstrierte Überlegenheit des Christentums mit. Im Mittelalter, als Religionen sich mittels Gewalt verbreiteten, als die Kirche viel Macht und Einfluss hatte, da war die Bejubelung solcher Taten selbstverständlich. Heute würde jemand für eine vergleichbare Tat international geächtet, weswegen ich den Umgang mit Bonifatius für anachronistisch und unangemessen halte. Das Bonifatius-Musical mag prächtig unterhalten. Wer dort aber die Fällung der Eiche als Höhepunkt feiert, wird es danach schwer haben, sich glaubwürdig für Religionsfreiheit einzusetzen oder seine Begeisterung gegenüber kritischen Fragen eines Angehörigen einer anderen Religion zu rechtfertigen. Gerade zu den Heiden, deren erklärter Gegner Bonifatius war, können sich, der Wortbedeutung nach, noch heute viele Menschen zählen.

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