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Astrobe, der goldene Planet (R. A. Lafferty)

Lafferty ist mir anfangs wegen seiner Kurzgeschichten aufgefallen, die unvergleichliche surreale und absurde Noten haben. Personen handeln unverständlich oder sind zu kleinen Wundern in der Lage, ohne dass darauf in der Geschichte weiter eingegangen wird. Laffertys erster Roman, Astrobe, der goldene Planet (im Original: Past Master), bildet dort keine Ausnahme, ist aber nicht hauptsächlich skurril (einige von Laffertys Kurzgeschichten scheinen hauptsächlich mit diesem Ziel geschrieben worden zu sein), sondern webt die fantastischen Szenen in eine mythologische Geschichte ein, in der es um das mögliche Ende von Allem geht. Dass Lafferty ein gläubiger Christ war, habe ich erst nach dem Lesen erfahren. Sein christlicher Glaube erklärt die mythologischen Elemente und die Rolle der Hauptperson Thomas Morus, der tatsächlich gelebt hat, und dessen Biographie auch in dem Buch von großer Wichtigkeit ist. Das Buch ist für den Hugo Award und für den Nebula Award nominiert worden. Ich kann sagen, dass es mich begeistert hat und zu meinen Lieblingsbüchern zählt. Die Geschichte möchte ich hier nicht verraten, um niemandem das Vergnügen zu nehmen, dieses Meisterwerk selber zu lesen.

Häufig sind es einige Details, die ich nach dem Lesen eines Buches festhalten möchte, so auch hier. Es enthält die treffendste Beschreibung wirrer Träume, die ich bisher gelesen habe. Es erschien mir, als hätte Lafferty die Zügel nur ein wenig lockerer als sonst gehalten, und die Episode musste so aus seiner Feder fließen, mit ihrer ganz eigenen Traumlogik, die der Träumende kritiklos annimmt, manchmal als Beobachter, manchmal als Protagonist, manchmal als beides gleichzeitig. Grandios, wie diese Traumsequenzen in die Geschichte eingebaut und begründet wurden: Es handelt sich um Zustände, die ein mit Überlichtgeschwindigkeit durch den Hopp-Gleichungs-Raum reisender Mensch durchmacht. 1

Paul hätte während des Fluges gern ein Nickerchen gehalten, aber Schlaf wurde von den Instrumenten des Schiffs registriert, und er durfte niemals länger als neunzig Sekunden am Stück schlafen. Daran hatte er sich jedoch rasch gewöhnt. Selbst wenn man nur neunzig Sekunden Zeit hat zum Schlafen, können einen die verworrensten Träume heimsuchen. Paul hatte ausgerechnet, dass er während des Fluges mindestens zwanzigtausend solcher Träume haben würde.

[…]

Das Gesetz von der Erhaltung der psychischen Gesamtheit verliert auch im Hopp-Gleichungs- Raum nichts von seiner Gültigkeit. Das bedeutete in Pauls Fall, dass sich viereinhalb Jahre psychischer Bewusstheit auf einen Monat zusammendrängten und sich in geballter Form in diesen überaus heftigen Kurzträumen manifestierten.

(1. Aufl., Knaur, 1981, S. 22)

Im Vorwort einer englischen Neu-Auflage steht, dass Terry Carr, ein Verleger bei Ace Books, Lafferty zur Beibehaltung der Traumsequenzen geraten habe (das Buch basiert auf einer früheren Kurzgeschichte) und stärker zu nutzen. Zitat aus einem Brief:

That is a beautiful idea, but you do so little with it! I think it’s worth several pages of dramatization; show us some of these dreams, throw them at us as they’re striking Paul, so that we’ll get the feeling of them. And, of course, they offer a perfect opportunity for portents of doom and rich symbolisms … in emotional terms, not just intellectual ones.

Auffälligkeiten der Übersetzung

Große Freude hat mir die Erwähnung eines fiktiven Ortes namens New Erkenschwick bereitet, da Oer-Erkenschwick in meiner Liste prägnanter Ortsnamen mit Bindestrichen weit oben steht. Hier das Zitat aus dem Buch:

Die großen Städte Astrobes auf unserer gegenwärtigen Entwicklungsstufe auf dem Wege zur einzigen großen Stadt sind Cosmopolis, die Hauptstadt, Potter, Ruckle, Ciudad Fabela, Sykestown, Chezem City, Wendopolis, Metropol, Fittstown, Doggle Culpepper, New Erkenschwick, Big Gobey, Griggs und Wu Town.

(1. Aufl., Knaur, 1981, S. 68)

Dass Lafferty an dem Ortsnamen Gefallen gefunden hat, überraschte mich nicht. Ich fragte mich jedoch, wie er auf ihn gestoßen ist. Eine Recherche ergab leider, dass der Ortsname im Originaltext nicht vorhanden ist, es folgt die entsprechende Stelle:

The great cities of Astrobe, in our present evolving phase towards the One Great City, are Cosmopolis the capital, Potter, Ruckle, Ciudad Fabela, Sykestown, Chezem City, Wendopolis, Metropol, Fittstown, Doggle, Culpepper, Big Gobey, Griggs, and Wu Town.

Zudem fällt auf, dass Doggle und Culpepper in der deutschen Übersetzung zu einem einzigen Ort zusammengefügt wurden, aber das ist wahrscheinlich ein Unfall gewesen, der im Korrektorat ohne Vergleich mit dem Original nicht auffällt. Ist das Hinzufügen von New Erkenschwick nun ein Beispiel für eine hervorragende, an die Kultur angepasste Übersetzung?Diese Frage würde ich nur bejahen, wenn es einen ähnlich charakterisierten Ort des Originaltextes ersetzt hätte. Vielmehr erscheint es mir, als würde es sich um ein Easter-Egg handeln. Zur Begründung ein weiteres Zitat aus der deutschen Übersetzung und dem englischen Original:

Bei der Konsekration flammte eine Leuchtschrift auf:
Auch für Ihren Ausflug in die himmlischen Gefilde – New Erkenschwicker Traubenzauber, der Wein, bei dem selbst Bacchus ins Schwärmen geraten würde – ein Produkt der C. Kingmaker Chemicals, New Erkenschwick.

(1. Aufl., Knaur, 1981, S. 68)

Das englische Original:

At the Consecration, a sign lit up:
„Brought to you Courtesy of Grailo Grape-Ape, the Finest of the Bogus Wines.“

Die Menge an Text, die in der Übersetzung hinzugefügt und geändert wird, ist meiner Meinung nach nicht gut zu begründen. Die erneute Erwähnung von New Erkenschwick deutet, wie gesagt, auf ein Easter-Egg hin (möglicherweise verbindet der Übersetzer Joachim Pente etwas damit). Die Verweise auf Bacchus und auf C. Kingmaker Chemicals bedrohen die Kohärenz der Geschichte. Cosmos Kingmaker ist eine wichtige Figur. Es wird erwähnt, dass er ein reicher Geschäftsmann ist, deshalb ist es nicht unwahrscheinlich, dass er Unternehmen besitzt. Ich denke aber, dass ein Übersetzer zu weit geht, wenn er hier ohne Notwendigkeit ein Unternehmen erfindet.

Eine Hinzufügung war so auffällig und unpassend, dass sich mir der Verdacht einer ungeschickten Übersetzung aufdrängte. Die Hervorhebung im folgenden Zitat ist von mir:

Paul verwandelte sich in den Sauren Johann und erlebte die ganze Geschichte live. So, jetzt aber endlich die Geschichte: Dank der Diät, die der Saure Johann von Kindesbeinen an befolgt hatte – Alkohol, Wermut und grüne Schnecken – hatte sich eine seiner Nieren in Glas verwandelt.

Im Original:

But now Paul became Sour John and he told and lived at the same time the outré tale.
Owing to the diet he had followed from his youth—alcohol, wormwood, green snails—one of Sour John’s kidneys had become vitrified, and in a peculiar manner.

Die Beispiele sollen nicht den Eindruck vermitteln, dass die deutsche Übersetzung schlecht wäre. Sie ist hervorragend zu lesen, und mir sind keine weiteren Abweichungen aufgefallen, obwohl mich manche Stellen zu einer Überprüfung veranlassten. Das Buch ist eine klare Empfehlung und findet einen Platz in meiner Bestenliste.

  1. Es gibt deutliche Parallelen zu der Art, wie im Universum von Warhammer 40.000 mit Überlichtgeschwindigkeit gereist wird. Dies findet in einem ähnlich charakterisierten Raum statt, der Immaterium, Warp oder auch Meer der Seelen genannt wird; siehe Immaterium (Warhammer 40k Wiki) und Warp (Lexicanum). Verdeutlichend noch ein Zitat aus Laffertys Geschichte: „Der gesamte Raum ist voll von psychischem Abfall, und wenn man in den Hopp-Gleichungs-Raum eintritt, dann stößt man allenthalben darauf. Jedes schmerzliche Erlebnis, das sich je ereignet hat, jede merkwürdige oder erschreckende oder aufregende Episode, die je stattgefunden hat, treibt irgendwo im Weltraum herum. Man stößt dort auf Gedankenfetzen (aber auch Konzentrationen) von Billionen von Geistern; nichts davon geht jemals verloren, es verteilt sich lediglich im Raum und verdünnt sich dort gewissermaßen.“
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