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Evolution ist eine logische Konsequenz

Wenn die Realität der Evolution angezweifelt wird, so wird dies fast immer auf die gleiche Weise getan: Es wird das Wort „Evolutionstheorie“ in den Mittelpunkt gestellt und das Grundwort „Theorie“ in seiner umgangssprachlichen Bedeutung erklärt. Kurzgefasst ist die Aussage: „Es ist doch nur eine Theorie“. Diesem Missverständnis lässt sich natürlich sehr einfach begegnen. Streitgespräche über Wortbedeutungen tendieren jedoch dazu, niemals zu einem Ende zu kommen. Ich halte es deshalb für sinnvoller, das fast lächerlich simple Prinzip hinter der Evolution zu erklären. Für dieses Prinzip ist jegliche Empirie oder Komplexität irrelevant (typischerweise versteigen sich Diskutanten darin), außerdem ist es unabhängig von der Domäne, also nicht auf die Biologie beschränkt. Um anschaulich zu bleiben, werde ich mit meiner Wortwahl jedoch nahe an der Biologie bleiben.

  1. Lebewesen der gleichen Spezies sind unterschiedlich, weil sie keine exakte Kopie ihrer Eltern sind.1
  2. Ein Lebewesen steht in Beziehung zu seiner Umwelt. Diese Beziehung beeinflusst die Wahrscheinlichkeit des Überlebens und der Fortpflanzung.

Noch kürzer: Variation und Selektion. Wenn man das verstanden hat, hat man auch die Evolution verstanden. Wer die Tatsache der Evolution leugnen will, muss Variation oder Selektion leugnen.

Wer über die obigen Punkte nachdenkt, wird außerdem erkennen, dass das vielzitierte Überleben des Stärkeren nicht korrekt ist. Denn Stärke ist nur eine bestimmte Eigenschaft, mit der ein Lebewesen in Beziehung zu seiner Umwelt treten kann. Aber auf Stärke kommt es nicht immer an. Optimal lebt es sich, wenn man optimal an die Umwelt angepasst ist. So ist die originale Phrase Survival of the fittest eher zu übersetzen als Überleben des Angepasstesten.2

Evolution in verschiedenen Bereichen

Für die Evolution in der Biologie ist der Mechanismus der Fortpflanzung essentiell. Durch die wahrscheinlichere Vermehrung angepasster Individuen wird der Status quo gesichert. Von diesem ausgehend können durch Rekombination und Mutation der Gene besser und schlechter angepasste Individuen entstehen. Die besser angepassten werden über die Zeit zum neuen Status quo.

In der Informatik werden evolutionäre Algorithmen verwendet, um hinreichend gute Lösungen zu finden, für die viele Parameter sehr fein abgestimmt werden müssen. Ein zielgerichtet vorgehender Mensch ist darin langsamer und schlechter als ein Computer, der zufällige Varianten (ausgehend von der aktuell besten) prüft und die am besten geeignete selektiert. Das folgende Video veranschaulicht dies sehr schön. Die Optimierung betrifft hier die Feinjustierung eines neuronalen Netzwerks (im Video oben rechts abgebildet), das die Eingaben von fünf Abstandssensoren (entsprechend der fünf Neuronen am linken Ende des Netzwerks) in Steuersignale nach links bzw. rechts übersetzt (entsprechend der zwei Neuronen am rechten Ende des Netzwerks).

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Die evolutionäre Feinabstimmung ermöglicht es übrigens auch dem Fadenwurm Caenorhabditis elegans mit wenigen, nämlich exakt 302, Neuronen auszukommen. Da auch weitere Charakteristika des Nervensystems bekannt sind, konnte man dieses virtuell im Computer nachbauen und seine Lernfähigkeit demonstrieren.

Auch komplexere Entitäten, die sich ggf. aus vielen Individuen zusammensetzen, können evolutionär mehr oder weniger erfolgreich sein, ganz nach dem Prinzip von Variation und Selektion. So können sich schnell ändernde Bedingungen auf dem Markt dazu führen, dass Unternehmen bankrott gehen, weil sie sich nicht schnell und gut genug anpassen. Andere hingegen, die vorher kaum eine Rolle gespielt haben, werden unter den neuen Bedingungen erfolgreich. Ihre Eigenschaften (speziell ihre Produkte und Dienstleistungen) waren an die vorherige Umwelt schlechter angepasst als an die neue. Beobachten lässt sich ein Anpassungsprozess aktuell beim Umstieg auf die Elektromobilität.

Ein weiteres Beispiel sind Weltanschauungen. Hier gibt es aufgrund des starken gestalterischen Einflusses des Menschen eine Wechselwirkung: Die Mitglieder der Weltanschauung sind Selektierte und – ab einer gewissen Gruppengröße – auch Umwelt. So werden typischerweise Kinder im Sinne der Weltanschauung geformt, da diese später das gesellschaftliche Umfeld prägen werden, in dem auch die Eltern leben. Dieser Mechanismus ist ursächlich dafür, dass sich einige über 1000 Jahre alte Religionen bis heute gehalten haben. Einfacher gesagt: Passt sich der Mensch nicht an, passt er sich die Umwelt an. Der Preis dafür ist der weitgehende Stillstand der eigenen Entwicklung.

Die scheinbare Intelligenz der Natur

Warum sind die Lösungen der Natur so komplex, dass wir Menschen oft Schwierigkeiten haben, sie zu verstehen? Weil sich die Naturgesetze nicht darum scheren, wie komplex die Lösung oder ihre Wechselwirkung mit der Umwelt ist. Strömungsmechanik gilt als besonders schwierig. Die Haihaut ist ein schönes Beispiel, wie die Natur eine Lösung gefunden hat, auf die wir Menschen nicht gekommen sind, die wir jedoch erfolgreich für technische Anwendungen kopiert haben.

Während die Knochenfische Elasmoid- oder Ganoidschuppen tragen, haben die Haie so genannte Placoidschuppen, die im Revolvergebiss als Zähne beginnen und sich vom Maul über den ganzen Körper ausbreiten.3 Die Zähne verkleinern sich und werden als Hautzähnchen fortgesetzt, die bei den Haien im Gegensatz zu den Rochen eine fast vollständigen Körperumhüllung bilden.
[…]
Die Rillenstruktur (s. g. Riblets) verringert den Oberflächenwiderstand. Durch die Rillen entstehen viele kleine Wasserwirbel. Diese verringern die seitlich gerichteten Kräfte der turbulenten Strömung und setzen die Reibungswirkung herab. Dieser Effekt funktioniert jedoch nur beim schnellen Schwimmen; beim langsamen Schwimmen sind glatte Oberflächen günstiger. Der Haihaut-Effekt zählt neben dem Lotus-Effekt zu den bekanntesten Erkenntnissen der Bionik. Der Effekt wird zur Verringerung des Reibungswiderstands und damit des Treibstoffverbrauchs für Schiffe, U-Boote und Flugzeuge genutzt.

(Quelle)

Tatsächlich ist die Entwicklung der Haihaut sogar ein Beispiel für die fehlende Intelligenz der Natur, für ihre planlose Variation. Zähne, die eigentlich den Zweck des Beißens haben, über den Körper wuchern zu lassen, erscheint einem planvoll vorgehenden Ingenieur absurd. Doch die Auswirkung dieser Variation ist, dass der Hai schneller oder energiesparender schwimmen kann. Das verbessert seinen Jagderfolg und damit sein Überleben.

Diese scheinbare Intelligenz der Natur könnte leicht zur Annahme eines „Intelligent Designs“ führen, woran jedoch auch eine wörtliche Auslegung diverser Schöpfungsmythen Anteil hat.

Spiele es nach

Im Rahmen dieses Artikels habe ich eine Idee umgesetzt, die mir schon lange im Kopf herumgeisterte.4 Im folgenden Spiel kann man regelmäßige Polygone nach Schläfli durch entsprechende Selektion in andere regelmäßige Polygone überführen. Denke dir einfach dein Ziel oder lasse dir mittels des Buttons „Neu generieren“ eines vorschlagen. Zu Beginn nehme ich gerne ein rotes Pentagramm, das ist sehr charakteristisch. Falls du glaubst, deine intelligente Wahl wäre unrealistisch gut, kannst du zum Vergleich den Algorithmus mittels „Automatische Evolution“ die Auswahl treffen lassen. Er wird meistens besser sein als du, obwohl keinerlei Intelligenz dahintersteckt – aber die Naturgesetze scheren sich eben nicht um Komplexität.

Du kannst versuchen, dieses optimal angepasste Wesen zu erreichen:
Boost der Mutationsrate (-10 bis 10)
Boost der Mutationsstärke (-10 bis 10)


Historie [löschen]

 

Fußnoten

  1. Für Lebewesen, die sich geschlechtlich fortpflanzen, ist das selbstverständlich. Bakterien können oft ein exakter Klon ihres Elters sein, jedoch kommt es zu Mutationen.
  2. Zu der falschen Übersetzung „Überleben des Stärkeren“ hat vermutlich beigetragen, dass „fit“und „fitness“ im Kontext von Kraft- und Ausdauerleistungen verwendet werden.
  3. Dies ist außerdem ein Beispiel für Gradualismus und den bekannten Spruch „Natura non facit saltus“ („Die Natur macht keine Sprünge“).
  4. Eine konzeptionelle Beschreibung werde ich nachreichen. So viel sei hier verraten: Das Genom liegt in einer bequemen Datenstruktur vor, so dass die Mutationsstärke getrennt regelbar ist. In der Natur ist das Genom eine Reihe von Basenpaaren. Dort gibt es nur eine Mutationsrate. Wie stark sich eine Mutation auswirkt, ist kein eigenständiger Faktor, sondern eine Folge aus der Mutationsrate und den betroffenen Genen.

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