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Ein Artikel wie eine überreife Melone

Wenn etwas mit einer überreifen Melone verglichen wird, dann typischerweise im Kontext des Zerplatzens. Meistens ist es ein Kopf.

Dies soll in diesem Artikel meine Ausgangsthese sein. Ursprünglich begründet sich diese These durch die Texte, die ich gelesen habe. Irgendwann fiel mir die Häufigkeit der Phrase wie eine überreife Melone auf, dann ihr Kontext. Die Phrase ist zu speziell, als dass sie nicht irgendwann störend auffallen oder klischeehaft erscheinen würde. Warum wurde und wird sie so oft verwendet? Liegt dies vielleicht daran, dass Melonen, wenn sie überreif sind, zerplatzen? Oder wird das Zerplatzen nicht unmittelbar durch die Überreife ausgelöst; und lediglich die Art, wie überreife Melonen durch Fremdeinwirkung zerplatzen, hat eine bemerkenswerte Ähnlichkeit mit dem Zerplatzen eines Kopfes?

Die erste Vermutung vom spontanen Zerplatzen erweist sich als falsch. Überreife Melonen zerplatzen nicht, sie werden innen lediglich matschig und können weiße und schwarze Stellen entwickeln. Beim Aufschneiden können sie größere Mengen Wasser abgeben, welches aus den zersetzten Zellen kommt.

Kontext von „wie eine überreife Melone“

Dank Google Books kann ich viele Bücher nach der Phrase „wie eine überreife Melone“ durchsuchen, um den Kontext zu finden, in dem sie verwendet wird. Zuerst werde ich die Funde auflisten, in denen ein Kopf zerplatzt.

Dennoch hoffte sie, dass jemand Birgittes schweren Kopf bald heilte, bevor ihrer wie eine überreife Melone zerplatzte.

(Robert Jordan: Das Rad der Zeit 10)

Es kann erstaunen, dass in einer so renommierten Fantasy-Saga diese Phrase verwendet wird. Jedoch handelt es sich hier um die deutsche Übersetzung, daher habe ich nach dem englischen Originaltext gefahndet. Leider habe ich diese Stelle via Google Books nicht finden können. Stattdessen habe ich zwei andere Verwendungen der Phrase gefunden:

He had to use it, or burst like a rotted melon.

(Robert Jordan: The Shadow Rising)

‘Because I have to do something. Or I’ll … I’ll – burst like a rotted melon!’

(Robert Jordan: The Dragon Reborn)

Leider beziehen sich diese Phrasen nicht auf den Kopf. Weiter geht es mit den Exzerpten, die ich für diesen Absatz gesucht habe:

Gehetzt ging Alexej in die Hocke, musste sich abstützen, als er das Gefühl hatte, sein Schädel würde augenblicklich platzen wie eine überreife Melone.

(Benjamin Monferat: Welt in Flammen)

Weber hatte bereits den anderen liquidiert, dessen Kopf unter dem Einschlag der Gewehrkugel wie eine überreife Melone zerplatzte.

(Tom Clancy: Operation Rainbow)

Als sie mit dem Kopf voran auf dem rissigen Beton aufschlug, war ihr Schädel zerplatzt wie eine überreife Melone.

(Peter Anderson: Survivor II)

Beim Aufprall platzt mein Schädel auf wie eine überreife Melone, graue Hirnmasse, getränkt mit dem Rot von frischem Blut, spritzt hoch, verteilt sich großflächig über der Erde.

(Jutta Maria Herrmann: Schuld bist Du)

Oder besser noch, mit dem Tischtennisschläger auf Evas Puppenkopf eingedroschen, bis er zerplatzte, wie eine überreife Melone.

(Helga Anderle: Da werden Weiber zu Hyänen)

Mein Kopf flog gegen die Wand. Es war, als platze er wie eine überreife Melone auseinander.

(E. W. Pless: Geblendet. Aus den authentischen Papieren eines Terroristen)

Bezogen auf andere Körperteile

Nicht immer zerplatzt ein Kopf. Aber immerhin hat das Zerplatzen von anderen Körperteilen (oder des kompletten Körpers) noch eine thematische Nähe.

Ich dachte: Sie haben überhaupt keine Gemeinsamkeit mit Menschen, wenn sie platzen; sie platzen so leicht wie eine überreife Melone, die man auf den Gartenzaun spießt.

(Robin McKinley: Atem der Nacht, S. 440)

Darauf wollt‘ ich schwören, sagte Sancho, sie hätten ihm einen Hieb gegeben, daß er von oben bis unten wie eine Granate aufgespalten wäre, oder wie eine überreife Melone.

(Miguel de Cervantes Saavedra: Leben und Thaten des scharfsinnigen Edlen Don Quixote von la Mancha, Band 2)

Acht Stockwerke trennen mich vor dem sicheren Tod. Auf kargem Beton würde ich zerplatzen wie eine überreife Melone.

(Marc Weiherhof: Der Pakt)

„Aber – bitte unterbrich mich, wenn das verrückt klingt – ich will lieber auf festem Boden bleiben, wo ich nicht kilometerweit durch die Luft falle und dann beim Aufprall platze wie eine überreife Melone.“

(Gena Showalter: Angels Of The Dark – Kampf gegen das Böse)

Wenn ich dem ungehörigen Druck nicht nachgebe, werde ich zerplatzen wie eine überreife Melone.

(Arthur Gordon Wolf: Katzendämmerung)

Geopolitische Kontexte

Am meisten erstaunt hat mich, dass auch das Zerbrechen oder Aufteilen von Ländern oft mit überreifen Melonen veranschaulicht wird.

Nur Oesterreich drohte auseinander zu platzen, wie eine überreife Melone, und daß es als Staat nicht zu Grunde ging, dazu bedurfte es der russischen Hülfe, wie nicht minder dazu, daß nicht Gothaer Schöpferschaft und preußischer Jugendsünden-Taumel dieses arme alte Oesterreich aus dem Landes des Arndt’schen Volkslieds, aus Deutschland, hinaus sophistizirte.1

(Kurier für Niederbayern, Ausgabe 178, 1. Juli 1855)

Seitdem die Vereinten Nationen für die Teilung Israels in einen jüdischen und einen arabischen Staat gestimmt hatten, war das Land in zwei Hälften geteilt, wie eine überreife Melone, die auseinander brach.

(Pinchas Lapide: Schalom, Schalom, S. 51)

Dies ist ein besonders ungelenker Vergleich. Das Land wurde aufgrund einer politischen Entscheidung in zwei Hälften geteilt. Diese Aufteilung ist damit außerdem abgeschlossen, dennoch heißt es: „wie eine überreife Melone, die auseinander brach“, wohlgemerkt nicht: „gebrochen ist“. Hat ein in der Vergangenheit andauernder Aufteilungsvorgang des Landes die Fäulnis, die Saftigkeit, den Glibber oder die Süße einer überreifen Melone?

Die Kongo-Konferenz, bei der die europäischen Mächte Afrika unter sich aufteilten wie eine überreife Melone …

(Neuer Konkret Verlag: Konkret, 1985)

Hier ist ebenfalls rätselhaft, warum die Melone überreif sein muss. Für den Vergleich mit einer Aufteilung ist dies überflüssig. Außerdem werden überreife Melonen nicht mit höherer Wahrscheinlichkeit aufgeteilt als andere.

Sonstige Vergleiche

Nicht alle Vergleiche haben mit dem Verhalten von überreifen Melonen bei Krafteinwirkung auf Körperteile zu tun.

Einer hatte ein Gesicht wie eine überreife Melone mit Lippen wie aufgesprungene Knackwürste, und der Eiter strömte aus den offenen, blutigen Rissen.

(Walter Kempowski: Das Echolot. Fuga furiosa. Ein kollektives Tagebuch. Winter 1945, Seite 409)

Tiefe Linien um Nase und Mund furchten es wie eine überreife Melone, verbanden sich zu einem kunstvollen Knoten zwischen den Wülsten des wackelnden Doppelkinns.

und

„Ich strotzte nur so vor Lebenslust, wie eine überreife Melone: drück mich nicht, sonst platz ich!“

(Sergeĭ Zenskiĭ: Babajew, S. 251 und S. 363)

Und als schließlich die Nacht explodierte wie eine überreife Melone und blutrote Spritzer unsere staunenden Gesichter bedeckten, schielte ich zu meinen Jungs hinüber, beobachtete ihre offenen Münder, die glasigen Augen.

(Zoran Drvenkar: Im Regen stehen)

Das sieht Katja mit dem Riesenpo Gott sei Dank auch so, und als sie macht, was ich sage, rücken nicht nur ihre Backen ganz nah, die strammen Dinger springen auch noch auf wie eine überreife Melone und geben eine breite Furche saftig roten Fleisches frei.

(Ingo Niermann: Deutscher Sohn)

Möglicher Rekord für die höchste Konzentration der Phrase

Ich hatte bereits die Spezifität der Phrase erwähnt, durch die sie so auffällig wird. Im Folgenden kann man eine dreimalige Verwendung der Phrase innerhalb einer Seite bestaunen.

(Cornelia Schneider: Von Perlen und Hunden)

Schlusswort

Obwohl die berüchtigte Phrase eher zu Splatter-Romanen und anspruchsloserer Literatur zu passen scheint, wurde sie doch von einigen namhaften Autoren verwendet: Robert Jordan, Miguel de Cervantes Saavedra, Tom Clancy. Vielleicht zeugt dies ja von großer Sprachkunst, jedenfalls, wenn es ums Zerplatzen von Körperteilen geht: Denn was könnte es in dieser Hinsicht mit einer überreifen Melone aufnehmen? Dabei gilt die Annahme, dass der Originaltext, der bei keinem dieser Autoren deutsch ist, in diesem Punkt wörtlich übersetzt wurde.

Fußnoten

  1. Wortbildung aus Sophismus (Täuschung bezweckender Trugschluss, Scheinbeweis). Für „sophistizieren“ oder „sophistizieren“ habe ich keinen Eintrag im Duden, auf woerterbuchnetz.de oder im digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache gefunden.

4 Kommentare

  1. nelly schneider

    möglicher rekord für die höchste konzentration der phrase.
    hätte der arglose philanthrop genau hingesehen, wäre ihm aufgefallen, dass der text genau darauf aufgebaut ist – und nichts anderes beabsichtigt. hier geht’s um wiederholungen! wiederholungen von bildern, von phrasen, im kopf eines gehetzten, in einer gehetzten sprache, auch atemlose prosa genannt.
    na ja, arglos halt. immerhin, er hat gestaunt.

    • admin

      Ja, die gehetzte Sprache ist deutlich, vor allem wegen der vielen Kommata und diversen Wiederholungen. Der mögliche Rekord bleibt selbstverständlich unberührt davon, ob die Autorin dies als Stilmittel verwendet hat oder nicht.
      Dein Kommentar wirkt etwas offensiv, unterstellt mir Unaufmerksamkeit und benennt nicht bloß die atemlose Prosa. Ich hoffe, du bist nicht die Autorin selbst (Nelly = Cornelia) oder mit ihr verwandt und fühlst dich berufen, sie zu verteidigen. Ein Angriff auf sie sollte die Erwähnung des Textes nämlich keinesfalls sein; ich empfinde die Sprache sogar als eindrucksvoll.
      Danke für deinen Kommentar!

      • nelly schneider

        die autorin ist nicht ganz unbekannt, ihre texte sind meist surrealistisch, ich schätze sie sehr. der ausschnitt stammt aus der neuherausgabe des kurzgeschichtenbandes „von perlen und hunden“, der 2006 vom edfc in seiner belletristischen reihe schon einmal herausgegeben und seinerzeit sehr gelobt wurde. cornelia schneider wurde meines wissens bereits mehrfach ausgezeichnet.

        • admin

          Danke für die Informationen! Die Kurzgeschichtensammlung sollte ich mir vielleicht mal zu Gemüte führen, aber ich habe schon sehr viel zu lesen. Ungewöhnliche Texte gefallen mir auch besonders. Die Autoren, die sich nicht so sehr an Konventionen und Schreibworkshop-Wissen halten, sind ja gerade deshalb bekannt geworden, z. B. Franz Kafka oder Arno Schmidt. An letzteren hat mich ein wenig die Klammersetzung des zitierten Exzerpts erinnert.

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