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Was macht ein Wort schön?

Das sind sie also, die drei schönsten deutschen Wörter gemäß der Wahl von Deutschlernenden aus 46 Ländern. Dieses Ergebnis hat mich auf den ersten Blick sehr überrascht, denn ich konnte trotz meiner guten Kenntnis der deutschen Sprache keine besonders ästhetischen Merkmale hinsichtlich des Klangs, der Konstruktion oder der Buchstabenanordnung entdecken, die diese Wörter deutlich über andere erheben würden. Besonders Schmetterling ist mir ins Auge aufgefallen, da dieses Wort in einem sehr populären Video als Beispiel für den harschen Klang der deutschen Sprache verwendet wurde.

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Tim Allen machte sich ebenfalls darüber lustig:

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Sogar ein deutscher Autor, Michael Ende, hat ein bekanntes Buch über die Brutalität des Wortes geschrieben: Der Lindwurm und der Schmetterling. Der Lindwurm ist unglücklich, weil sein Name so sanft klingt und niemandem Furcht einflößt. Der Schmetterling ist unglücklich, weil sein Name mit Schmettern in Verbindung gebracht wird. Beide Wesen finden, dass ihr Name ihre Natur nicht widerspiegelt. Schließlich tauschen sie ihre Wortbestandteile und heißen fortan Lindling und Schmetterwurm.

Ich selbst möchte noch anmerken, dass die Endung -ling im Zuge der Flüchtlingsdebatte in ein negatives Licht gerückt wurde, weswegen manche Redakteure auf das Wort Geflüchtete umgestiegen sind. Die Endung -ling wird besonders in Bezug auf Menschen häufig als abwertend wahrgenommen1Feigling, Emporkömmling, Fiesling, Hänfling; aber auch wertungsneutral: Jüngling, Häftling, Firmling, Einling, Zwilling, Drilling, Höfling, Häuptling.

Dies sind drei Beispiele, in denen die Garstigkeit des Wortes Schmetterling sehr prominent und populär hervorgehoben wurde. Unmöglich, dabei an Zufall zu glauben. Und doch landete es in der Liste der schönsten deutschen Wörter.

Eine Erklärung

Vor diesem Hintergrund ist mein Erstaunen über die Wahl dieses Wortes – welches ich ebenfalls wegen des Wortbestandteils „Schmetter“ nicht schön oder passend finde2 – wohl zu verstehen. Es gibt für die Wahl dieses und der anderen Wörter eine ebenso plausible und einfache wie ernüchternde Erklärung, auf die ich nach einigem Nachdenken leider verfallen musste: Unzureichende geistige Trennschärfe. Es ist anzunehmen, dass bei der Bewertung der Wörter nicht zwischen dem Wort und der Sache, die es bezeichnet unterschieden wurde. Die Schönheit des Schmetterlings ist in der Kunst vielgepriesen. Seine Flügel strahlen vor kraftvollen Farben und sind interessant gemustert. Sein Flug wirkt verspielt, harmlos, vielleicht sogar trunken. Er hält sich gerne in der Nähe von Blumen auf, welche fast sinnbildlich für Schönheit stehen. Sogar die Umstände, unter denen man diesem Insekt begegnet, sind schön: Häufig geschieht dies im Frühling und Sommer, wenn unsere Stimmung in der Sonne ebenso steigt wie die Temperatur.

Wenn im Geist eine Vermengung dieses Tieres, samt der obengenannten positiven Assoziationen, mit seiner Bezeichnung stattfindet, ist seine Platzierung in der Liste nicht mehr überraschend. Auch die Platzierung der anderen Wörter lässt sich erklären, wobei bei Eichhörnchen noch die verniedlichende Endung -chen zum Tragen kommt (ein so gebildetes Wort ist ein Diminutiv).

Die Quellen der Schönheit eines Wortes

Aus obigen Betrachtungen geht hoffentlich hervor, dass ich die Wahl für fehlgeschlagen halte, da die Frage nach dem schönsten deutschen Wort nicht beantwortet wurde, sondern augenscheinlich eher die Frage nach der schönsten Sache, für die ein hinreichend bekanntes deutsches Wort existiert.

Das Wort an sich hat bestimmte Aspekte, die man jeweils auf ihre Schönheit untersuchen kann. In der Rubrik Notes and Queries des britischen Guardians wurde die Frage gestellt: „What is the most beautiful word in the English language?“. Die Antworten erscheinen so wohlüberlegt und geben so gute Beispiele für Aspekte eines Wortes, dass ich einige im Folgenden zitieren werde. Die Fragestellung dieses Artikels („Was macht ein Wort schön?“) ist von der Sprache unabhängig.

Klang

Der Klang dürfte am stärksten ins Gewicht fallen, da er einen unserer Sinne anspricht.

Though my personal favourite is „tenderness,“ I recall once reading of a study wherein those whose native tongues were not English were given samples of English words and asked to select those which they found most pleasing to hear. The winner was „cellar door.“
(Elizabeth M, New York City US)

Phonetically it has to be cellar door.
(Anne, London England)

Warum gerade dieses Wort? Ich finde, dass es klanglich sehr an Kellerräume erinnert. Es hat diesen harten, dunklen Klang, wie der Widerhall, der in einem klammen Gang mit nackten Wänden entsteht.

I have to say onomatopoeic popped into my head immediately. I always feel like I’ve really achieved something just saying it and the vowels sound delicious in my head.
(Kevin, Swindon UK)

onomatopoeic spricht sich weicher als das deutsche onomatopoetisch, da es tatsächlich ohne das zweite T geschrieben wird, obwohl es im Englischen das Wort poetic gibt.

syzygy – for its sound, spelling and meaning
(Reshma, Utrecht the Netherlands)

Schreibweise

syzygy – for its sound, spelling and meaning
(Reshma, Utrecht the Netherlands)

Syzygy erschien mir schon immer wie ein frei erfundenes Wort, so unwahrscheinlich ist seine Schreibweise. Falls man Y als Konsonant zählt (auch wenn es hier als Vokal verwendet wird), wäre syzygy ein sechsbuchstabiges Wort ohne Vokal.

Originalität, Witz der Konstruktion

In dem englischen Artikel habe ich keine Beispiele für dieses Merkmal gefunden. Es kommt jedoch häufig vor, dass deutsche Komposita (zusammengesetzte Substantive) von englischsprachigen Menschen für ihre Idee gelobt werden.

  • Kraftfahrzeugzulassungsstelle : Kraft (power) + fahr (driving) + zeug (thing) + zulassugs (registration) + stelle (place) => powered driving thing registration place => car registration office
  • Sehenswürdigkeit : Sehen (view) + würdig (worthy) + keit (ness) => place of interest or attraction

Deciphering compound words literally cracks me up every time, one gotta admires how original German people are. 🙂

(Quelle)

ZWEISAMKEITwithout the slightest hesitation. I discovered it in the French translation of the book (2004) of Vanna Vannuccini & Francesca Predazzi : Piccolo viaggio nell’anima tedesca = A little journey in the German soul. The authors state that the word exists only in German and, what I totally approve, it is sorely lacking in other languages.

Its construction itself is brilliantly simple and expressive

Solitude exists in all languages. In German: Einsamkeit. Its construction: Ein = One => Einsam = solitary, -keit: suffix corresponding to -ness in English (hardiess, goodness, wickedness, weakness, and so on).

Now replace Ein by Zwei = two and you get what a loving couple can feel when their love isolates and protects from the rest of the world.

(Quelle)

One that caught my attention when I lived in Germany for a year was: Ohrwurm.

As many other German words, it is composed of two words: Ohr: ear, and Wurm: worm.

Now for the conceptual metaphor, this word describes the state of having a tune stuck in your head.

(Quelle)

I also love “Lichterkette”. It’s the German wird for “fairy light” or “Christmas lights” and translates to chain of lights. I think it’s beautiful how it literally describes the lights that are lined up and in a row, like the links of a chain.

My absolute favorite is and will always be “Inkompetenzkompensionskompetenz” which is the ability to compensate your incompetence.

(Quelle)

Ferner liegende Aspekte

Das Gefühl beim Aussprechen

As for foreign languages, the German „Knaben“ is produced almost entirely nasally, giving a tickling sensation in the nose and mouth when you repeat it.
(Matt Becker, Oxford UK)

Das Gefühl beim Schreiben

I don’t know why, but I love writing the word ‚aluminium.‘ However it doesnt feel quite the same when I type it.
(Jane, Perth Australia)

Beim Schreiben in Schreibschrift erzeugt die Buchstabenfolge „uminium“ eine Kette von vertikal orientierten Schwüngen, die zweimal durch das Setzen eines I-Punktes unterbrochen wird. Dem Schreibrhythmus ist dabei sehr zuträglich, dass die Buchstabenfolge fast ein Palindrom ist, wobei das erste I genau so weit vom Anfang entfernt ist wie das zweite vom Ende: um-ini-um.

Symmetrie, optischer Eindruck

Given that, generally speaking, the most attractive humans are those with extremely (or perfectly) symmetrical features, I suppose a palindromic word would fit the bill the best. Deified? That’s quite nice.
(Marcus Hake, London UK)

Fußnoten

  1. Der Linguist würde sagen, dass das Suffix -ling eine pejorative Konnotation hat.
  2. Dies ist eine unmittelbare Bewertung aus heutiger Sicht. Es gibt eine naheliegende Vermutung zur Etymologie des Wortes, die mit Sahne (ostmitteldeutsch: Schmetten) zu tun hat, siehe wiktionary: Schmetterling.
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