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Kein Empörungsartikel: Wenn sich ein Impfgegner einen Judenstern anheftet

Neulich hat mir ein Freund erzählt, dass sich in sein Lieblingscafé eine Frau gesetzt habe, die auf dem Shirt einen Judenstern und den Schriftzug „Nicht geimpft“ trug. Es war eine Ungeimpfte (im Sinne von „nicht gegen SARS-CoV-2 geimpft“, so werde ich den Begriff hier verwenden). Natürlich zog sie sofort die Aufmerksamkeit auf sich, und nach lauter, erhitzter Diskussion kam es zu einer Schlägerei zwischen zwei Lagern. Ich weiß nicht, was der Inhalt der Diskussion war, aber dem Ausgang und der üblichen Tradition nach zu schließen war die Empörung groß. Besonders problematisch an Empörung ist, dass sie emotionalisiert, irrational macht und einen vermeintlichen Grund gibt, jemandem Leid zuzufügen. Sie führte zur Schlägerei, aber nicht zu einem konstruktiven Ergebnis. Sie hat der Impfgegnerin nicht geholfen, sondern sie wahrscheinlich noch mehr radikalisiert.

Das logische Argument ist das wirksamste Instrument im Diskurs. Empörung über die Unangemessenheit des Vergleichs mit der Judenverfolgung kann bei einem Impfgegner nichts bewirken, denn diese ganz offensichtliche Abwägung hat er bereits vorgenommen. Zu den unzählbaren Empörungs- und Meinungsartikeln und Tweets, von denen mir noch metaphorisch die Ohren klingeln, will ich daher nicht beitragen.
Aus logischer Sicht ist der Judenstern unangebracht, weil er:

  1. auf ein unveränderliches Merkmal hinweist: Die Klassifizierung als Jude. Wie diese Klassifizierung vorgenommen wird, ist dabei irrelevant. In der Geschichte wurde sie mal gedehnt (siehe Nazi-Deutschland), mal verengt, so dass nur Kinder einer jüdischen Mutter Juden sind. Auf jeden Fall kann niemand beeinflussen, wer seine Vorfahren sind und welcher Religion oder Ethnie sie angehören. Ob jemand vom Ungeimpften zum Geimpften wird, kann er hingegen sehr wohl beeinflussen. Die Entscheidung ist noch nicht einmal eine besondere. Entscheidungen ähnlicher Tragweite treffen wir häufig, nachdem wir die Vor- und Nachteile abgewogen haben. Ob man nun lieber Freiheiten wie den Besuch von Veranstaltungen und Gaststätten genießt oder sich nicht impfen lässt, ist eine persönliche Entscheidung, solange es keine Impfpflicht gibt. Wie bei anderen Entscheidungen muss man auch die unerwünschten Konsequenzen tragen.
  2. irrationalem Hass entspringt. Die Maßnahmen, die die Verbreitung des Corona-Virus eindämmen sollen, sind hingegen sinnvoll begründet und dienen dem per Verfassung gebotenen Schutz der Bürger. Ungeimpfte werden im Rahmen dieser Maßnahmen erst durch die notwendige begriffliche Abgrenzung sichtbar – ganz im Gegensatz zu Juden, gegen die schon seit Jahrhunderten gehetzt wird.

Einige Ungeimpfte, die sich öffentlich mit verfolgten Juden vergleichen, werden diese Argumente zumindest auf sachlicher Ebene verstehen. Ob die Argumente Wirkung zeigen, sei dahingestellt. Es gibt unter besonders radikalen Impfgegnern sogar Glaubensinhalte, die ein Durchdringen von Argumenten unmöglich machen. Es wird eine klassische Ingroup/Outgroup-Aufteilung vorgenommen, sodass es leicht wird, der Mehrheitsgesellschaft Täuschung und Lüge vorzuwerfen:

Da ist der Experte, der warnt, Ungeimpfte könnten bald abgeholt und in Konzentrationslager gesteckt werden. Es drohe eine „Menschenjagd“, und liebende Eltern müssten ihre Kinder dann zuhause vielleicht unter den Brettern des Fußbodens verstecken, damit diese nicht totgespritzt würden. 

tagesspiegel.de

Hier muss ich zugeben: Würde das der Wahrheit entsprechen, wäre der Vergleich mit der Judenverfolgung nicht mehr unangemessen. Wenn sich jemand, der diesem Narrativ glaubt, einen Judenstern anheftet, folgt das einer inneren Logik. Dann sind realitätsbezogene Argumente unwirksam. Der Ansatzpunkt ist es folglich, dieses Narrativ zu entkräften. Das ist leider schwierig, wenn man als ein Feind wahrgenommen wird, der sich der Lüge bedient.

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