Erfahrungsgemäß sind Wörter häufig der Anstoß für besonders erbitterte Streitigkeiten, was vermutlich daran liegt, dass sie einen Teil des Weltbildes und die Bedeutung eigener sprachlicher Äußerungen definieren. Oft erkennen die Streitenden gar nicht, dass sie nur deshalb streiten, weil ihr Verständnis eines bestimmten Wortes differiert.
Im Zuge der Sensibilisierung gegenüber Rassismus aufgrund des Mordes an George Floyd wurde vorgeschlagen, das Wort „Rasse“ aus dem Grundgesetz zu streichen. Der betreffende Text (Artikel 3, Absatz 3):
Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.
Das Wort „Rasse“ ist beim Menschen wissenschaftlich nicht korrekt, darüber herrscht breiter Konsens. Man verwendet es behelfsmäßig, um phänotypische Merkmale zusammenzufassen, die häufig in Kombination und in bestimmten Regionen vorkommen. Zugrunde liegt eine an sich sehr wertvolle Intelligenzleistung, nämlich die Kategorienbildung.
Der Mensch zeigt als biologische Art viele Beispiele für phänotypische Variationen. Obwohl die Gene aller Menschen – unabhängig von ihrer Herkunft – zu etwa 99,9 Prozent identisch sind (siehe Genetische Variation (Mensch)), haben wir den Eindruck einer ungewöhnlich großen phänotypischen Vielfalt unserer Art (Haut-, Haar- und Augenfarbe, Körpergröße, Nasen- und Lippenformen uvm.). Bei der Beurteilung von Artgenossen spielt jedoch vor allem unsere Kognition eine wichtige Rolle, wie etwa die Gesichtserkennung zeigt: Wir sind in der Lage, kleinste Unterschiede in Gesichtern wahrzunehmen, so dass sie uns größer erscheinen, als sie tatsächlich sind. Auch phänotypisch haben alle Menschen weitaus mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede. Werden Menschen, die aus weit voneinander entfernten Populationen stammen, nebeneinandergestellt, entsteht allerdings der Eindruck von klar abgrenzbaren geographischen Variationen. Da auch die Kategorienbildung ein fundamentaler Vorgang unserer Psyche ist, ist die Idee unterschiedlicher Menschenrassen (und der daraus resultierende Rassismus) bei einer unreflektierten Betrachtung nahezu „vorprogrammiert“. Bei näherer Betrachtung gehen die Unterschiede zwischen den angeblichen „Rassen“ jedoch fließend ineinander über. Nahezu keine Menschengruppe war lange genug geographisch isoliert, um Merkmale herauszubilden, die groß genug sind, um im biologischen Sinn von verschiedenen Unterarten des Menschen oder Rassen sprechen zu können.
(Quelle: Wikipedia)
Das Grundgesetz sollte auch weiterhin explizit verbieten, Menschen deswegen zu diskriminieren. Aber das, was wir als „Rasse“ bezeichnen, ist eben eine abstrakte Entität, die sich aus der Kategorienbildung ergibt, ähnlich wie ein Haufen: Man kann nicht genau sagen, wie viele Sandkörner man benötigt, und wie man sie anordnen muss, um einen Haufen zu bekommen, aber irgendwo gibt es eine fließende Grenze. Hier passt auch ein Autovergleich: Es gibt phänotypische Merkmale, die uns ein Auto als „sportlich“ oder „bieder“ oder „protzig“ erscheinen lassen. Letztere Eigenschaft könnte sogar Anlass zu diskriminierender Behandlung sein. Aus der Kategorisierung heraus entstehen also reale, wenn auch abstrakte, Entitäten wie „Rasse“ eines Menschen oder „Charakter“ eines Autos. Das Wort „Rasse“ zu verbieten, ist daher zu kurz gedacht, auch wenn es ein verständlicher Impuls ist. „Ethnie“ wird häufig als Alternative genannt, jedoch ist leicht zu erkennen, dass es nicht geeignet ist.
Natürlich habe auch ich das Wort „Rasse“ schon bezogen auf Menschen gelesen oder verwendet und mich im Rahmen dieser Betrachtungen gefragt, warum das eigentlich nie ein Problem war. Schließlich wusste ich schon, dass es faktisch falsch ist. Aber dann fiel mir ein, warum „faktisch falsch“ nicht zutrifft. Meine einleitenden Worte zur Wortbedeutung seien ins Gedächtnis zurückgerufen. Das Wort „Rasse“ ist meinem Verständnis nach ein Homonym, ein gleiches Wort für verschiedene Dinge. Ebenso, wie der „Kopf“ eines Nagels nicht wie der „Kopf“ eines Menschen ist, so ist die „Rasse“ eines Tieres nicht wie die „Rasse“ eines Menschen. Es wurde ja bereits geklärt, dass es sich nur um eine unscharfe Kategorisierung anhand bestimmter Merkmale handelt, aber nicht um eine Rasse im biologischen Sinn. Ich mutmaße, dass die meisten Leute das Wort „Rasse“ in Bezug auf Menschen ebenfalls nicht im biologischen Sinn verwenden. Das ist aber auch eine Frage der Bildung. Das Tückische ist: Wie man selber dieses Wort meint, das weiß man. Man weiß jedoch nicht, wie jemand anders es meint. Dies ist ein typischer Mechanismus für ausufernde Streitigkeiten oder Shitstorms. Natürlich wurde gemäß Rassentheorie das Wort „Rasse“ tatsächlich als biologische Rasse aufgefasst, im Gebrauch abseits faschistischer Ideen ist dies jedoch nicht der Fall, vielmehr wird das Wort dort in Ermangelung einer unverfänglicheren Alternative verwendet.
Und was folgt daraus für das Grundgesetz? Da diese Art der Diskriminierung selbstverständlich verhindert werden muss, ist eine ersatzlose Streichung kontraproduktiv. Da wir nun wissen, worauf der Rassenbegriff kognitiv basiert, kann man sich auf die Ursachen reduzieren, ohne das aus der Kategorienbildung entstandene Wort zu verwenden. Meine Vorschläge für Alternativen wären: „körperliche Merkmale“ oder „äußere Merkmale“.
Sehr aufmerksamer Beitrag – also wie hier erwartet 🙂
Warum es leicht zu erkennen ist, dass „ethnische Zuordnung“ oder ähnliche Formulierungen nicht geeignet sind, hat sich mir spontan nicht erschlossen: lerne aber gerne dazu.
Hallo Gerhard!
Der verlinkte Artikel zur Ethnie (https://de.wikipedia.org/wiki/Ethnie) lässt in den ersten beiden Absätzen deutlich werden, warum das Wort kein Ersatz für „Rasse“ sein kann. „Ethnie“ wird jedoch häufig aus der Not heraus verwendet, weil man irgendein griffiges Wort für diese Kategorisierung der äußeren Merkmale braucht.
Mit dem ersten Teil Ihres Beitrages gehe ich völlig konform. Jegliche Diskriminierung auf Grund seiner Rasse (oder wenn Sie so wollen seines Phänotyps) ist abzulehnen!
Den zweiten Teil verstehe ich jedoch nicht. Wieso ist Ihrer Meinung das Wort „Rasse“ bei Menschen nicht zutreffend, bei Tieren jedoch schon? Das phänotypisch die Menschen mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede aufweisen erscheint mir mehr als fraglich! Jedes Kind kann an den phänotypischen Eigenschaften eines Ureinwohners Europas und eines Ureinwohners Afrikas die Unterschiede erkennen. Genau für diese phänotypischen Unterschiede steht der Begriff „Rasse“. Das der Begriff „Rasse“ in der Vergangenheit und z.T. noch heute missbraucht wird, steht auf einem ganz anderen Blatt. Dem Missbrauch begegnet man aber nicht, in dem man das eine Wort durch ein anderes Wort austauscht.
Im übrigen: „Es wurde ja bereits geklärt, dass es sich nur um eine unscharfe Kategorisierung anhand bestimmter Merkmale handelt, aber nicht um eine Rasse im biologischen Sinn“. Wo wurde das geklärt? Habe dazu in Ihrem Beitrag leider nichts gefunden. Noch als Anmerkung: Der von Ihnen angeführte Begriff „Unterart“ ist ebenso wenig abgrenzbar wie der Begriff „Rasse“ (siehe z.B. hier: https://www.biologie-seite.de/Biologie/Unterart).
Zum Schluss noch eine ganz persönliche Anmerkung: Mir ist es völlig egal welcher „Rasse“ oder welchen „Phänotyp“ ein Mensch angehört! In meinem Freundeskreis gibt es die unterschiedlichsten „Rassen“ oder „Phänotypen“. Es sind aber nur Menschen, die bereit sind, aus ihrem Leben etwas zu machen und nicht Menschen, die einen Opferstatus vor sich hertragen. Die Menschen, die immer rumjammern, dass sie benachteiligt werden, da sie schwarz, Ausländer, Ossi oder was auch immer sind, habe ich aussortiert, da ich z:B. eine gute Freundin habe, die schwarz ist, vor ca. 20 Jahren nach Deutschland gekommen ist, keinen finanziellen Hintergrund hatte und nun durch großen Fleiß (in den Anfangsjahren putzte sie bei mir) ein florierendes Geschäft in München hat.
Da wir uns siezen: Hallo Herr Ey.!
Zu Ihren Fragen bzgl. der Anwendbarkeit des Begriffs „Rasse“:
1. „Nahezu keine Menschengruppe war lange genug geographisch isoliert, um Merkmale herauszubilden, die groß genug sind, um im biologischen Sinn von verschiedenen Unterarten des Menschen oder Rassen sprechen zu können.“
2. Siehe Absätze 4 und 5 des verlinkten Artikels: https://de.wikipedia.org/wiki/Rassentheorie
Besonders aufschlussreich fand ich dort: „Zudem wurde herausgefunden, dass die augenfälligen phänotypischen Unterscheidungsmerkmale der Rassentheorien nur von sehr wenigen Genen verursacht werden, der größte Teil genetischer Unterschiede beim Menschen stattdessen innerhalb einer sogenannten „Rasse“ zu finden ist.“
Mit anderen Worten: Der äußere Schein macht auf uns einen großen Eindruck, der jedoch trügerisch ist, denn es stecken relativ wenige genetische Unterschiede dahinter.