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Impfen oder nicht? Ein Glaubenskrieg, wo keiner nötig ist

Dieser Beitrag richtet sich ebenso an Impfbefürworter wie an Impfgegner und Unentschlossene.

Meiner Beobachtung zufolge wird der Kampf um das Für und Wider der Impfung hauptsächlich basierend auf Studien geführt. Die Glaubwürdigkeit der Studien wird von der jeweils gegnerischen Seite angezweifelt. Und schon ist es eine Glaubenssache geworden. Auch dieser Beitrag wird mit Studien und Überlegungen dazu aufwarten, diese verschiebe ich jedoch ans Ende, da sich die Argumentation mit Studien oder Statistiken als völlig unwirksam erwiesen hat.
Insbesondere Impfgegner treten oft mit den Forderungen auf: „Denk selber nach!“ oder „Informiere dich!“ Das sind Ratschläge, die ich unterstütze. Zum Informieren bleibt zu sagen, dass die Verlässlichkeit der Quellen von Studien und Statistiken gegeben sein muss und Anekdoten untauglich sind. Statistiken werden jedoch stets angezweifelt (ob begründet oder unbegründet) und man zäumt mit ihnen in der Argumentationsarbeit sozusagen das Pferd von hinten auf, weil sie das Ergebnis von mysteriösen, komplexen Prozessen sind, von denen auch Impfbefürworter oft wenig verstehen. Deshalb sollte man sich am Besten über die Grundlagen und Mechanismen des Immunsystems informieren, um dann durch eigenes Denken folgerichtig die Sinnhaftigkeit von Impfungen zu erkennen.

Warum dies hilfreicher sein könnte, verdeutliche ich mit einer Analogie. Betrachte diese beiden Zahnräder:

Wenn sich das kleine Zahnrad nach rechts dreht (gemessen an der oberen Hälfte), in welche Richtung dreht sich dann das größere?
In einer hypothetischen Welt, in der es so etwas wie Verstehen nicht gibt, diskutieren die Linksdreher und Rechtsdreher leidenschaftlich darüber. Die Linksdreher klatschen Statistiken auf den Tisch, die zeigen, dass sich das große grüne Rad bisher in 100 % der Fälle nach links gedreht hat. Die Rechtsdreher misstrauen den Quellen der Statistiken, kontern mit Studien vermeintlich glaubwürdiger Personen und mit vielen Anekdoten, nach denen verschiedene Leute gesehen haben sollen, wie es sich nach rechts gedreht hat. Ein Beobachter dieser Diskussionen, der nichts über Zahnräder weiß, ist völlig hilflos. Er hat keinen Anhaltspunkt, welche Seite im Recht ist. Je nachdem, von welchen Studien oder Statistiken er zuerst gehört hat und welchem Lager seine Freunde angehören, kann er sich auf die eine oder die andere Seite schlagen und diese Position bald schon mit Feuereifer verteidigen.

Bedauern wir nicht alle diesen armen Kerl, der sich auf so wackelige Fundamente stützen muss? Nun, sie sind so wackelig, weil sie keine Fundamente sind. Die eigentlichen Fundamente sind die Regeln der Mechanik. Du bist darüber informiert. Du kannst dir selber denken, in welche Richtung sich das große grüne Rad drehen wird, wenn das kleine rote sich nach rechts dreht (hier in der Animation). Deine Antwort basiert auf Verständnis und nicht auf der Betrachtung zweier Parteien, die Studien und Statistiken vorlegen, deren Glaubwürdigkeit du nicht beurteilen kannst.

Das Immunsystem

Wer die Sinnhaftigkeit der Impfung selbst erkennen will, sollte sich also über die Funktionsweise des Immunsystems informieren und dann selber denken. Das Immunsystem ist sehr komplex, anscheinend sogar unnötig komplex[efn_note]Man beachte das Wort „anscheinend“. Ein komplexes System ist in der Regel anfälliger für Störungen, weswegen Komplexität typischerweise vermieden werden sollte. Beim Immunsystem kommt ein großer Teil der Komplexität jedoch von der Redundanz, da verschiedene Zellen zum Teil gleiche Aufgaben übernehmen (z. B. Präsentation von Antigenen). Es ist anzunehmen, dass Vor- und Nachteile von Komplexität und Redundanz im Laufe der Evolution ausbalanciert wurden, wobei es völlig egal ist, ob ein Mensch das nachvollziehen kann.[/efn_note] (aber was kümmert das die Natur?), so dass man eine Stunde einplanen sollte, um sich in das Thema einzulesen. Das Wesentliche ist im folgenden Zitat von Wikipedia wiedergegeben. Eine Vorbemerkung: Antigene sind die spezifischen, normalerweise körperfremden Strukturen, die eine Immunantwort des Körpers auslösen. Dies sind zum Beispiel die Oberflächenstrukturen eines Virus.

Bei einer Erstinfektion beginnt die Immunreaktion meist mit den antigenpräsentierenden Zellen, hierzu gehören z. B. Makrophagen oder dendritische Zellen; diese Zellen sind als Teil der angeborenen Immunabwehr in der Lage, typische Merkmale von Krankheitserregern zu erkennen, ohne zuvor mit diesem Erreger Kontakt gehabt zu haben. Sie können die Krankheitserreger aufnehmen (phagozytieren) und in ihrem Inneren einschließen – förmlich „fressen“, daher werden sie auch als Fresszellen bezeichnet. Anschließend präsentieren sie Bruchstücke der Erreger an ihrer Oberfläche den Zellen der adaptiven Immunabwehr (B- und T-Lymphozyten), die daraufhin in einen aktivierten Zustand übergehen. Einige Abwehrzellen können daraufhin die Erreger durch Phagozytose oder die Ausschüttung aggressiver Substanzen direkt abtöten, andere beginnen mit der Produktion von Antikörpern, die an die Erreger binden und diese einerseits bewegungsunfähig und damit unschädlich machen, andererseits sie für die Vernichtung durch weitere Abwehrzellen markieren. Nach der ersten Infektion mit einem Erreger bleiben die Antikörper und so genannte Gedächtniszellen erhalten, um bei einer erneuten Infektion wesentlich schneller und effizienter auf den Eindringling reagieren zu können.

(Quelle)

Wer seine Kenntnisse vertiefen will, dem seien diese Einstiegsseiten empfohlen: Immunsystem und Immunreaktion. Etwas umfangreicher sind die Artikel der Wikipedia dazu: Immunsystem und Immunantwort.

Die Idee hinter der Impfung

Ähnlich wie bei den Zahnrädern kannst du mit deinen grundlegenden Kenntnissen nun schlussfolgern, was das Immunsystem bei Kontakt mit den Oberflächenstrukturen von Krankheitserregern (Antigenen) macht. Und dann kannst du, wenn du über die Bekämpfung von Krankheiten nachdenkst, auf die naheliegende Idee verfallen: Hey, ich geb dem Immunsystem einfach ein paar geschwächte Erreger oder bloß dessen Oberflächenstrukturen zum Lernen, damit die Immunantwort viel schneller kommt, falls später der echte Erreger in den Körper gelangen sollte.

Ja, so einfach ist das letztendlich. Es erfordert wirklich nicht viel Kreativität, darauf zu kommen. Tatsächlich muss man dazu nicht einmal die genaue Funktionsweise des Immunsystems kennen, sondern bloß von Antigenen und der Lernfähigkeit des Immunsystems wissen. Letztere ließ sich stets unabhängig von detaillierten Kenntnissen beobachten. Auch früher schon wussten Menschen, dass man manche Krankheiten nur einmal bekam. Bis sie etwas von Krankheitserregern oder gar Antigenen wissen konnten, dauerte es jedoch noch eine Weile, denn dazu waren wissenschaftliche und technische (Mikroskop) Fortschritte nötig.

Heute sind wir schlauer. Und es wäre doch eine Schande, wenn wir das nicht nutzen würden, oder?

Kritik an der Impfung

Nachdem die Funktionsweise einleuchtet, bliebe lediglich noch zu klären, ob Impfungen vielleicht gefährlich sind. Nach dem Verständnis, das wir haben, muss die Gefahr grundsätzlich als sehr gering eingeschätzt werden. Dennoch stößt man gelegentlich auf Berichte von Eltern, deren Kind durch eine Impfung angeblich schwer geschädigt wurde. Solange diese Berichte anekdotisch bleiben und nicht systematisch andere Ursachen einer Erkrankung ausgeschlossen werden können, können sie nicht in eine Risikobewertung aufgenommen werden.

Eine Tatsache ist: Jede Behandlung birgt ein Risiko (nicht nur jede medizinische). Es gilt, die Risiken eines Lebens ohne Impfung gegen die der Impfung abzuwägen. In impfkritischen Kreisen werden Fälle von angeblich geschädigten Kindern (inklusive aller irrtümlich einer Impfung zugeschriebenen Effekte) stark überrepräsentiert. Demgegenüber stehen viele Stimmen die verkünden: Ich habe mein Kind nicht impfen lassen und es geht ihm prächtig!

So verwunderlich ist es nicht, dass es den wenigen ungeimpften Kindern prächtig geht. Da die meisten anderen Kinder geimpft sind und nicht erkranken, kommen auch die ungeimpften Kinder mit dem Erreger selten in Kontakt (siehe Herdenimmunität). Bei all der Panik vor möglichen Nebenwirkungen wird oft nicht bedacht, dass uns die Historie bereits zeigt, was ein generelles Unterlassen von Impfungen für Folgen für die Bevölkerung hätte.

Die Entwicklung von Masernfällen von 1980 bis 2013 zeigt deutlich, dass Impfungen wirken.

(Quelle)

Es erscheint logisch, dass bei Unterlassen der Impfungen diese Entwicklung umgekehrt abliefe. Tatsächlich zeigt sich in letzter Zeit wieder ein Anstieg der Masernfälle aufgrund einer leicht gesunkenen Impfquote.

Infografik: 2019 ist schon jetzt ein Masern-Rekordjahr | Statista

Dass eine Masernerkrankung ebenso wie viele andere Krankheiten tödlich enden kann, bestreitet niemand. Es gilt also: Je mehr Infektionen, desto mehr Todesfälle.

Insbesondere in Entwicklungsländern kommt es immer wieder zu lokalen Masernepidemien mit hohen Krankheits- und Sterblichkeitszahlen. Die Masern gehören dort zu den häufigsten Infektionskrankheiten. Laut Schätzung der WHO haben sie im Jahr 2000 fast die Hälfte der 1,7 Millionen durch Impfung vermeidbaren Todesfälle bei Kindern verursacht, bei geschätzten 30 bis 40 Millionen Krankheitsfällen in jenem Jahr.

(Quelle)

Nun zur eingangs erwähnten Risikobewertung: In einem Industrieland stirbt nach diversen Berechnungen etwa jedes 300. bis jedes 1000. an Masern erkrankte Kind – anders ausgedrückt: 1:300 bis 1:1000. Das Risiko eines Schadens durch eine Impfung beträgt, wie folgende Grafik zeigt, 169:211200000 ≈ 1:1249704 bzw. 0,00008 %.; vorausgesetzt, die Ärzte haben den Zusammenhang zwischen Gesundheitsschaden und Impfung korrekt erkannt. Aber selbst unter der pessimistischen Annahme, dass sämtliche 1036 Fälle von Symptomen, die als Impfschaden anerkannt werden sollten, tatsächlich Impfschäden waren, läge das Risiko lediglich bei rund 0,0005 %. Es ist also klar, dass eine Impfung einer Erkrankung vorzuziehen ist. Wie gesagt: Die Herdenimmunität verhindert derzeit viele Erkrankungen, weswegen die tatsächliche Gefahr von Masern und das Grauen, gegen diese Krankheit schutzlos zu sein, verkannt werden.

(Quelle)

Das oben Genannte gilt selbstverständlich auch für andere Krankheiten. Masern ist noch eine der harmloseren. An Tetanus stirbt jeder Zehnte.

Das Ziel der WHO war es übrigens, die Masern bis 2020 auszurotten. Der Plan wird an der zu geringen Impfquote scheitern. Schade, denn dann wäre tatsächlich keine Impfung gegen Masern mehr nötig gewesen.

Wer bisher gegen Impfungen war, aber aufrichtig um das Kindeswohl besorgt ist, sollte seine Position anhand der gegebenen Informationen noch mal überdenken. Die Gesundheit des eigenen Kindes sowie diejenige anderer Kinder sollte einem auch die Mühe wert sein, die Funktionsweise des Immunsystems zu lernen. Dies wäre sowohl für Impfgegner wie auch Impfbefürworter eine wahrhaftige Befolgung des Mottos „Informiere dich!“, im Gegensatz zum Sammeln von Studien, deren Glaubwürdigkeit und Inhalt man mangels Wissen nicht ansatzweise bewerten kann.

Weitere Informationen:

Fußnoten

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