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Warum sollte man andere Planeten besiedeln?

Der anscheinend weit verbreitete Selbsthass der Menschheit zeigt sich stets zuverlässig, wenn über die Entdeckung erdähnlicher, möglicherweise bewohnbarer Planeten berichtet wird.
Kommentare der Art „Bevor wir andere Planeten besiedeln, müssen wir erst einmal diesen retten!“ oder „Die Menschheit breitet sich wie ein Virus aus“ sind üblich. Wer im kritischen Denken einigermaßen sicher ist, könnte die falsche Dichotomie in der ersten Aussage bereits erkannt haben. Die zweite ist eine schlichte Herabwürdigung durch eine zu diesem Zwecke gewählte Analogie. Einfache und moralisierende Antworten auf komplexe Fragen finden heute viel Beifall.


Einige Argumente für die Besiedelung anderer Planeten, die mir ad hoc einfallen:

1. Wir haben noch kein anderes intelligentes Leben im All gefunden. Wir sind der einzige bekannte Fall. Wir wissen noch nicht einmal, ob es überhaupt woanders im Universum Leben gibt. Daraus ergibt sich die enorme Verantwortung, das Phänomen intelligenten Lebens zu sichern. Die Besiedelung fremder Planeten ist dazu sehr wichtig.
Warum ist das Phänomen intelligenten Lebens so wichtig?
a) Wir sind die einzigen, die Leid erkennen und bekämpfen können, ursächlich und symptomatisch. Wir haben Arzneimittel, Chirurgie und andere medizinische Technologien, um Leid zu mindern. Ohne eine Spezies wie uns wäre etwaiges anderes, weniger intelligentes Leben zum Leid verdammt.
b) Wir sind ein Bestandteil des Universums und seiner Entwicklung zu mehr Komplexität. Die Aussage, dass „wir“ das Universum erforschen, ist nicht die einzige Perspektive. Man kann auch sagen: Das Universum erforscht sich selbst. Falls wir untergehen, geht mit uns auch ein Organ des Universums unter, welches in kosmischer Hinsicht mehr Bedeutung hat als das Gehirn für einen Menschen.

2. Wir tragen eine gemeinsame Verantwortung für das Überleben unserer Spezies. Die genannte falsche Dichotomie „Bevor wir andere Planeten besiedeln, müssen wir erst einmal diesen retten!“ verschweigt zudem Folgendes: Die Existenz des Lebens auf diesem Planeten hängt nicht allein von unseren Rettungsbestrebungen ab. Es gibt Ereignisse, die sich unserer Kontrolle entziehen, die jegliches höhere Leben auf diesem Planeten vernichten können: Ein Gamma-Ray-Burst, ein Asteroiden-Einschlag, der Ausbruch eines Supervulkans, ein Virus (es reicht ja, wenn dieses Menschen betrifft). Das bedeutet, dass es unverantwortlich ist, alles auf diese Karte (diesen Planeten) zu setzen und zu hoffen.

3. Die Entdeckung fremden Lebens, gerade intelligenten Lebens, würde uns Menschen ein neues Bewusstsein für unseren Platz im Universum geben. Ironischerweise wäre dieser Fall den misanthropischen Gegnern der Weltraumbesiedelung ganz recht: Denn er würde uns vom Thron stoßen, uns Demut lehren und uns die Arroganz nehmen, uns für die Krone der Schöpfung zu halten. Er könnte außerdem zu einer neuen Einheit der Menschen führen, da sie ihre inneren Konflikte und künstlichen Grenzen (Nation, Religion, Ethnie etc.) ablegen und sich als eine Spezies neben einer anderen Spezies begreifen würden. Selbstverständlich wäre dieser Fall vernichtend für die meisten auf einem anthropozentrischen Schöpfungsmythos basierenden Religionen, ich denke da vor Allem an die abrahamitischen. Die religiöse Trennung der Menschheit dürfte daher als erste fallen, zum Großteil jedenfalls.

4. Das Vorhaben der Besiedelung allein könnte die Nationen näher zusammenbringen. Ein Beispiel dafür ist die ISS, wo sich Russen und Amerikaner auf engstem Raum gegenseitig aushalten und kooperieren müssen. Tatsächlich hängt in dieser extremen Lage ihr Leben voneinander ab, und sie müssen dieses Vertrauen einander bedingungslos schenken. Normalerweise werden sie Freunde.
Aber auch auf der Erde würden die Erfolge eines internationalen Teams gemeinsam gefeiert werden.

5. Die Herausforderungen werden unsere technologische und medizinische Entwicklung beschleunigen und uns möglicherweise Technologien und wissenschaftliche Erkenntnisse verschaffen, die wir ohne die Weltraumbesiedelung nie erreicht oder überhaupt erahnt hätten.

6. Die Meisterung der Herausforderungen wären ein Präzedenzfall für die Dinge, die wir als eine einig handelnde Menschheit erreichen können. Dieser Punkt ist zwar eng verwandt mit den gesellschaftlich einigenden Effekten, verdient aber eine eigene Aufführung, weil er eine entscheidende Rolle bei anderen Herausforderungen und Gefahren der Zukunft spielen würde.
Wir könnten die herbeifantasierte Herkunft als göttliche Schöpfung ablegen und uns berechtigt rühmen, uns in diesem Universum emanzipiert zu haben.

Soweit die spontanen Einfälle, die dann doch etwas mehr geworden sind, als ich erwartet habe.
Anlass für diesen Beitrag war: https://www.facebook.com/welt/posts/10159549825108115. Man sollte seine Erwartungen an tiefgründige Diskussionen dort jedoch dämpfen.
(Im Wesentlichen habe ich hier meinen Facebook-Beitrag kopiert, deshalb bitte ich, die Form zu entschuldigen.)

Update:
Einen Tag nach diesem Posting lieferte die Realität ein gutes Beispiel für Punkt 4, als die Besatzung der Mission „SpaceX-Crew-1“ zur ISS gestartet ist. Menschen verschiedener Nationen und Ethnien arbeiten für wissenschaftliche Ziele zusammen. Keiner von denen wird wegen einer Quote ins All geschossen.

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