Eine der zentralen Fragen der Elektromobilität ist: Wieviel mehr Strom werden wir in Deutschland pro Privatperson durch E-Mobilität benötigen?
Als Grundlage für die Berechnung musste ich mir erst einige Zahlen besorgen. Der Deutsche fährt täglich 39 km, berichtet des Bundesverkehrsministerium für 2017 („Im Jahr 2017 legte jede Person mit 39 km im Mittel einen Kilometer mehr zurück als im Jahr 2008″). Der Leser kann jetzt entweder davon ausgehen, dass dies bedeuten soll, dass ein Deutscher im PKW täglich durchschnittlich 39 km fährt, oder den folgenden Absatz lesen.
Wen es interessiert: Die Herleitung der 39 km im PKW pro Person und Tag
Es geht aus dem Text jedoch nicht hervor, ob diese Zahl sich nur auf den Individualverkehr per PKW bezieht. Fraglich ist dabei auch, ob bedacht wurde, dass im Schnitt mehr als eine Person pro Auto fährt. Daher habe ich mit weniger abstrahierten Zahlen eine Gegenrechnung gemacht. 2017 wurden 973,2 Milliarden km im „motorisierten Individualverkehr“ zurückgelegt (VDA), wobei ich den kleinen Anteil an Zweirädern vernachlässige. Das Kraftfahrtbundesamt zählt 47,1 Millionen PKW in Deutschland für das Jahr 2019 (Quelle). Damit legt ein PKW im Jahr durchschnittlich etwa 973.200.000.000 km / 47.100.000 Auto ≈ 20662,42 km/Auto zurück. Das sind pro Tag 20.662,42 km/Auto / 365 Tage ≈ 56,61 km/Auto/Tag. Es mag zuerst erschrecken, dass dies keine 39 km sind, aber der entscheidende Schritt folgt: Der Deutsche Bundestag berichtet, dass „nur 1,46 Personen pro PKW unterwegs“ seien. 56,61 km/Auto/Tag / 1,46 Personen/Auto ≈ 38,78 km/Person/Tag.
Schade, dass man sich die Berechnung so überlegen muss und die zugrunde liegenden Zahlen nicht nah beieinander findet. Dadurch wird das Endergebnis von 39 Kilometern pro Person und Tag im Zweifelsfall schwer nachvollziehbar. Dabei muss man außerdem selber daran denken, dass mehr als eine Person pro Fahrzeug fahren kann, sonst liegt man in der finalen Stromverbrauchsrechnung um fast 50 % daneben.
Der zusätzliche Stromverbrauch
Eine Person benötigt pro Jahr 1770 kWh Strom für den Haushalt. Wenn ein Haushalt ein E-Auto hat, soll es zu diesem Stromverbrauch beitragen. Als Beispiel ziehe ich den VW ID.3 heran, der mit einem 77-kWh-Akku 550 km weit kommen soll. Er benötigt also 0,14 kWh pro Kilometer. Basierend auf den offiziellen rund 39 Kilometern/Person/Tag werden also 0,14 kWh/km * 365 Tage * 39 km/Person/Tag = 1992,9 kWh pro Jahr und Person benötigt. Die 1770 kWh jährlicher Stromverbrauch eines Haushaltes steigen somit um ca. 112,6 % auf rund 3763 kWh. Auf den ersten Blick ist das schockierend. Dies bedeutet jedoch nicht, dass Deutschland insgesamt mehr als doppelt so viel Strom wie derzeit verbrauchen wird, was bei dem langsamen Ausbau der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien die Lage einigermaßen hoffnungslos erscheinen lassen würde. Der Anteil privater Haushalte am Stromverbrauch beträgt nur 129 von 520 TWh (Terawattstunden) im Jahr (Stand 2017).
129 TWh steigen also um 112,6 % auf etwa 274 TWh. Der gesamte Stromverbrauch steigt damit von 520 TWh auf 665 TWh, was etwa 27,9 % entspricht. Wir haben hier wohlgemerkt nur den Individualverkehr betrachtet. Es ist klar, dass wir langfristig von fossilen Energieträgern abkehren müssen, also müssten auch sämtliche Transporte in Industrie, Gewerbe, Handel und Dienstleistungen auf Strom umgestellt werden. Die geplante Reduzierung des Gesamtstromverbrauchs auf 472 TWh halte ich für unrealistisch. Wenn die Elektrifizierung des kompletten Verkehrs in Gang kommt, werden wir für einige Jahre jährlich neue Höchstwerte erreichen. Das ist aber nicht dramatisch, denn wir ersetzen damit eine Energieform (Benzin, Diesel) durch eine effizientere. Zitat aus Wikipedia:
Mit der Energie 1 kWh kann man beispielsweise:
- Mit einem Pkw mit Verbrennungsmotor rund 1,7 km weit fahren (bei einem typischen Energiebedarf von 6 Liter Benzin bzw. 60 kWh pro 100 km)
- Mit einem Elektroauto rund 6,7 km weit fahren (bei einem typischen Energiebedarf von 15 kWh pro 100 km)
(Quelle)
Der Personenverkehr ist der Hauptverbraucher von Kraftstoffen, wobei dieser zum Großteil auf PKWs und Kombis entfällt (siehe Umweltbundesamt). Der Güterverkehr benötigt weniger als halb so viel Kraftstoff wie der Personenverkehr. Dies bedeutet, dass mit der Elektrifizierung des Personenerkehrs schon mehr als zwei Drittel der Elektrifizierung des Verkehrs erledigt wären. Dieser Personenverkehr besteht – besonders am Kraftstoffverbrauch gemessen – fast ausschließlich aus den Autos, die zu unseren Haushalten gehören.
Rechner zur Elektromobilität
Da Zahlen zu Verbrauch und Erzeugung veränderlich sind, habe ich die wesentlichen der oben aufgeführten Rechnungen in Code gegossen und die folgende rudimentäre Oberfläche dafür gebastelt.
Stromverbrauch/Jahr/Person | kWh | |
---|---|---|
Kilometer/Tag/Person | km | |
kWh/km | ||
E-Mobilitätsquote PKW | ||
Ergebnisse | ||
Zusätzlicher Stromverbrauch pro Person und Jahr | kWh | |
Stromverbrauch pro Person und Jahr | kWh | |
Steigerung Stromverbrauch pro Person und Jahr | % |
Wo kommt der Strom her?
Wie die obigen Rechnungen zeigen, werden wir durch volle E-Mobilität einen deutlichen, aber keinen katastrophalen Anstieg des Stromverbrauchs erleben. Die rund 28 % Anstieg durch Elektro-PKWs würden durch Güterverkehr und etwaige unberücksichtigte Posten grob geschätzt auf 42 % erhöht. Eine Herausforderung ist dabei nicht nur die Gewinnung dieser Strommenge, sondern auch ihre umweltfreundliche Gewinnung.
Das Umweltbundesamt berichtet, dass der Anteil an Strom aus erneuerbaren Energien von 36 % im Jahr 2017 auf 37,8 % im Jahr 2018 gestiegen ist. Das ist ein Anstieg von glatt 5 %. Bei dem Tempo würde es noch 20 Jahre dauern, bis 100 % erreicht sind (37,8 * 1,0520 ≈ 100). Typischerweise verringern sich solche Anstiege jedoch mit der Zeit (Diminishing Returns bzw. Ertragsgesetz).
Durch E-Mobilität verschärft sich die Situation: Die 100 % habe ich ja aus dem aktuellen Stromverbrauch hochgerechnet, der in Deutschland noch realitätsnah ohne den Stromverbrauch von E-Mobilität zu berechnen ist. Aufgrund des zusätzlichen Strombedarfs muss der Ausbau der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien noch mehr beschleunigt werden, um die 100 % in 20 Jahren (möglichst noch schneller) zu erreichen.
Erschwerend kommt hinzu, dass Deutschland aktuell 11,8 % seines Stromes aus Atomkraft bezieht. 2022 soll das letzte Atomkraftwerk in Deutschland abgeschaltet werden. Dieser Strom muss in Zukunft mittels erneuerbarer Energien gewonnen werden. Der Flächenbedarf dafür ist enorm, wie die folgende Grafik aus dem Positionspapier Kernenergie der Partei „Die Humanisten“ zeigt:
Auch wenn so etwas pessimistisch stimmt, kommen zwei große Studien zu dem Ergebnis, dass der Strombedarf zu 100 % durch erneuerbare Energien gedeckt werden kann:
- Global Energy System based on 100% renewable Energy (finanziert von Deutsche Bundesstiftung Umwelt)
- 100 % erneuerbare Energien für Strom und Wärme in Deutschland (Fraunhofer-Institut für solare Energiesysteme, Eigenforschung)
Die Grundlast soll übrigens durch Wasserkraft und Biomasse deckbar sein. Stromspeicher helfen zusätzlich.
Aussicht
Die Kosten eines E-Autos über 5 Jahre sind aktuell geringer als die eines Verbrenners (geringere Wartungskosten, geringere Betriebskosten), so dass sich bereits heute beim Neukauf das E-Auto lohnt. Es wird damit gerechnet, dass durch die sinkenden Preise der Akkus bereits im Jahr 2022 der Anschaffungspreis eines E-Autos geringer sein wird als der eines Verbrenners. Spätestens dann wird das Interesse an E-Autos explodieren. Ich persönlich bin erfahrungsgemäß etwas pessimistisch, was die Planungsfähigkeit und Voraussicht der Regierung angeht, insbesondere bei Infrastruktur. Deshalb rechne ich damit, dass die Lade-Infrastruktur völlig unzureichend sein wird. Dies wird viele potentielle E-Auto-Käufer abhalten. Deshalb schrieb ich von der Explosion des Interesses, nicht der Nachfrage, welche erst dann explodieren wird, wenn die Lade-Infrastruktur gegeben ist. In den USA und in Norwegen gibt es etwas zu wenige Ladestationen, allerdings wird die Lage nicht dramatisch werden, falls die Politik bzw. Tesla schnell handelt. Tesla? Ja, denn Tesla beherrscht momentan den E-Auto-Markt und kümmert sich selbst um den Ausbau seiner Ladestationen, die „Supercharger“ genannt werden. Dass Tesla nun in Brandenburg eine Gigafactory baut, lässt hoffen, dass die Firma sich rechtzeitig um den Bau von mehr Superchargern kümmern wird. Diese können zwar nur von Tesla-Autos genutzt werden, aber damit wird ein großer Teil der E-Auto-Flotte abgedeckt werden.